Unabhängige Justiz in der BRD?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verhängte ein Zwangs­geld gegen Polen, weil dort angeblich die Unabhängig­keit der Justiz nicht gegeben sein soll. Doch wie sieht es bei uns in der Bundes­republik aus?

Der NPD-Landes­verband Schleswig-Holstein hat mit einem Brief an die polnische Bot­schaft anhand von zwei Bei­spielen dargelegt, daß es in der Bundes­republik keine unab­hängige Justiz gibt. Bei uns werden die Richter am Bundes­ver­fassungsgericht von den regierenden poli­tischen Parteien vorge­schlagen. So wird gerade das höchste deutsche Gericht, das eigentlich besonders unabhängig sein sollte von der regierenden Politik beeinflußt.

Hier lesen Sie den Brief an die polnische Botschaft im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor kurzem hat der EuGH gegen Polen ein Zwangsgeld verhängt, weil in Polen angeblich die Unabhängigkeit der Justiz nicht gegeben ist. Polen fordert daraufhin eine Überprüfung der Nominierung und Ernennung von Richtern am deutschen Bundesgerichtshof (BGH). In Deutschland ist der Einfluß der regierenden Parteien auf die Zusammensetzung der Richter jedoch wesentlich größer. Es werden nicht nur die Richter am BGH von der Politik bestimmt. Insbesondere werden die Richter am Bundesverfassungsgericht von den regierenden politischen Parteien vorgeschlagen. So wird gerade das höchste deutsche Gericht, das eigentlich besonders unabhängig sein sollte von der regierenden Politik beeinflußt.

Im Juni und Juli 2021 hat das Bundesverfassungsgericht zwei Urteile gefällt, die nicht gegensätzlicher hätten sein können.

In dem einen Fall ging es um den Antrag der NPD die beiden Verfassungsrichter Müller und Huber im Organstreitverfahren zur Entziehung der Parteienfinanzierung der oppositionellen NPD als befangen einzustufen. Die NPD hatte vorgebracht, daß die beiden Richter in ihrer Zeit als Politiker mehrfach gefordert hatten, der Opposition staatliche Gelder zu entziehen. Richter Huber hatte sich als Innenminister für ein Verbot der oppositionellen NPD ausgesprochen, die er als Extremisten verunglimpfte und er hatte sich für den Ausschluß der NPD aus der staatlichen Parteienfinanzierung engagiert. Auch Peter Müller hatte sich in seiner Zeit als Ministerpräsident mehrfach extrem abfällig über die NPD geäußert und sich dafür ausgesprochen, Parteien, die er für verfassungsfeindlich hält, generell die staatliche Finanzierung zu entziehen.

Der Antrag der NPD wurde nun am 23.Juni vom Gericht mit folgender Begründung abgelehnt:

„Die Kundgabe politischer Meinungen, die ein Richter oder eine Richterin zu einer Zeit geäußert hat, als er oder sie noch nicht Mitglied des Bundesverfassungsgerichts war und daher den besonderen Anforderungen dieses Richteramts noch nicht Rechnung zu tragen hatte, rechtfertigt grundsätzlich eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht.”

Das Verfassungsgericht lehnte den Befangenheitsantrag der NPD ab, obwohl es keinerlei Hinweise gibt, daß die beiden Personen beim Wechsel von der Politik ins Richteramt ihre Einstellung geändert hätten.

In dem anderen Fall ging es um einen Migranten, der in Deutschland Asyl beantragt hatte, was vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt wurde. Dagegen reichte dieser Klage ein und lehnte den zuständigen Richter als befangen ab. Nun wurde dem Befangenheitsantrag des Einwanderers vom Bundesverfassungsgerichts stattgegeben. Der Richter des Asylverfahrens (übrigens wirklich unabhängig und nicht von der Politik gewählt) wurde vom Verfassungsgericht (von der Politik gewählt) als befangen angesehen, weil dieser in einem anderen Verfahren die Aussage im NPD Plakat „Migration tötet” um eine empirisch zu beweisende Tatsache bezeichnet hatte.

Im Urteil vom 1.Juli des Bundesverfassungsgerichtes heißt es:

„Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens darüber hinaus, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet.… Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. … Damit steht es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält.”

Eine Woche zuvor urteilte das Gericht über ehemalige Politiker in den eigenen Reihen noch ganz anders…

Jedoch nicht nur die höchsten Richter auf Bundesebene werden von der Politik bestimmt. In Schleswig-Holstein wurde am 28. Oktober Dr. Dirk Bahrenfuss zum neuen Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom Landtag in Schleswig-Holstein gewählt. Bahrenfuss ist Abteilungsleiter im schleswig-holsteinischen Justizministerium.

Wir zweifeln nicht die Kompetenz Dr. Dirk Bahrenfuss für dieses Amt an, jedoch hat die Wahl eines obersten Richters durch das Parlament nichts mit einer unabhängigen Justiz gemein. Hinzu kommt, daß im Juni 2021 in den Zeitungen Schleswig-Holsteins geschrieben stand: „Die Regierungsfraktionen sowie SPD und SSW wollen der Politik mehr Einfluss bei der Auswahl von Richtern in Schleswig-Holstein verschaffen. CDU, SPD, Grüne, FDP und SSW wollen stärker mitbestimmen.” (siehe Ausschnitt Hamburger Abendblatt vom 4.6.2021)

Wir haben diesem Schreiben zwei Zeitungsausschnitte der lokalen Zeitung SHZ beigelegt. Während sich die SHZ am 27.10.2021 über die verhängte Millionenstrafe gegen Polen wegen angeblicher nicht vorhandener Rechtsstaatlichkeit erfreut zeigt, schreibt die Zeitung nur einen Tag später ohne jegliche Kritik über die Wahl eines Richters durch ein deutsches Parlament.

Wir hoffen, daß Polen bei der EU darauf besteht, daß sich die EU den politischen Einfluß auf die Justiz in Deutschland ganz genau anschaut; denn die Handhabung in Deutschland widerspricht – im Gegensatz zur polnischen Vorgehensweise – wirklich einer unabhängigen Justiz.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Schimmel





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